Die Elektromobilität ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen – immer mehr Menschen möchten ihr Elektroauto bequem zu Hause laden. Doch gerade in Mehrparteienhäusern ist das keine einfache Aufgabe.
Unterschiedliche Eigentumsverhältnisse, begrenzte Netzanschlussleistungen und komplexe Abrechnungsanforderungen machen die Umsetzung zu einer technischen und organisatorischen Herausforderung.
In diesem Artikel zeigen wir, welche technischen Hürden es gibt, wie sie gelöst werden können und welche Umsetzungsvarianten sich je nach Größe und Struktur eines Mehrparteienhauses anbieten.
Technische Herausforderungen in Mehrparteienhäusern
a) Begrenzte Netzanschlussleistung
Viele Mehrparteienhäuser verfügen über einen Hausanschluss, der ursprünglich nicht für zusätzliche Ladepunkte ausgelegt war. Wenn mehrere Elektroautos gleichzeitig laden, kann die Anschlussleistung schnell an ihre Grenzen stoßen – Überlastungen drohen.
Lösung:
Ein intelligentes Lastmanagement verteilt die verfügbare Leistung dynamisch auf die angeschlossenen Fahrzeuge. So wird sichergestellt, dass der Hausanschluss nicht überlastet wird und alle Fahrzeuge mit der verfügbaren Energie effizient geladen werden. Systeme mit dynamischem Lastmanagement berücksichtigen zudem den aktuellen Stromverbrauch im Haus.
b) Mess- und Abrechnungssysteme
In Mehrparteienhäusern müssen die Stromkosten für das Laden gerecht auf die Nutzer verteilt werden. Eine einfache Steckdose reicht hier nicht aus – es braucht individuelle Messungen und rechtssichere Abrechnungen.
Lösung:
- MID-konforme Zähler erfassen den Verbrauch je Ladepunkt.
- Über Backend-Systeme können Nutzungsdaten automatisch erfasst, abgerechnet und über Apps oder Portale angezeigt werden.
- Bei gemeinschaftlichen Anlagen kann ein Energieversorger oder Dienstleister die Abrechnung übernehmen.
c) Eigentumsverhältnisse und Zuständigkeiten
In Eigentümergemeinschaften (WEG) ist oft unklar, wer über die Ladeinfrastruktur entscheidet. Die Installation betrifft Gemeinschaftseigentum – etwa Leitungen, Zähleranlagen und Stellplätze.
Lösung:
Seit der WEG-Reform 2020 haben Wohnungseigentümer einen Rechtsanspruch auf eine Lademöglichkeit. Entscheidungen erfolgen per Mehrheitsbeschluss. Es empfiehlt sich, eine gemeinsame Ladeinfrastruktur („Lade-Backbone“) im Haus zu planen, an die einzelne Parteien später ihre Ladepunkte anschließen können.
d) Integration in bestehende Energieversorgung
Gerade in Kombination mit Photovoltaik oder Mieterstromkonzepten entstehen Synergien. Ziel ist, möglichst viel eigenen Solarstrom zum Laden zu nutzen.
Lösung:
- Kombination aus PV-Anlage, Batteriespeicher und Ladeinfrastruktur.
- Energiemanagementsysteme priorisieren den Eigenverbrauch und steuern Ladezeiten automatisch.
- So lassen sich Netzlastspitzen vermeiden und der CO₂-Fußabdruck des Gebäudes deutlich senken.
Umsetzungsvarianten je nach Gebäudegröße
Variante 1: Kleine Hausgemeinschaft (bis 10 Parteien)
- Einfaches System mit wenigen Ladepunkten (z. B. Wallboxen an Stellplätzen).
- Abrechnung kann direkt über die Wohnungsstromzähler oder eine separate Unterverteilung erfolgen.
- Ideal bei Mietshäusern mit geringem Parkaufkommen oder Eigentümergemeinschaften mit wenigen Stellplätzen.
Tipp: Frühzeitig Leerrohre für weitere Ladepunkte vorsehen – der Bedarf wächst meist schneller als gedacht.
Variante 2: Mittlere Wohnanlage (10–20 Parteien)
- Zentrale Ladeinfrastruktur mit gemeinsamem Lastmanagementsystem.
- Jeder Stellplatz ist mit vorbereiteten Anschlüssen ausgestattet („ladeinfrastruktur-ready“).
- Installation einzelner Ladepunkte nach Bedarf durch die jeweiligen Nutzer.
- Die Abrechnung erfolgt über ein gemeinsames Backend-System – entweder durch den Betreiber oder einen externen Dienstleister.
Diese Variante bietet hohe Flexibilität und Kosteneffizienz, da die Grundinstallation gemeinschaftlich erfolgt.
Variante 3: Große Wohnanlage (ab 20 Parteien)
- Professionelles Lade- und Energiemanagementsystem, das auch PV-Erträge, Speicher und Netzleistung integriert.
- Dynamisches Lastmanagement mit Priorisierung (z. B. nach Ladezeit oder Nutzergruppen).
- Oft wird ein Betreibermodell gewählt: Ein externer Anbieter installiert, betreibt und rechnet die Ladeinfrastruktur ab.
- Möglich ist auch die Integration ins Mieterstrommodell – der erzeugte Solarstrom wird direkt für das Laden genutzt.
Beispiel: Ein Quartierskonzept, bei dem die PV-Anlage auf dem Dach den Grundbedarf deckt, überschüssiger Strom in Batterien gespeichert und für die Ladepunkte bereitgestellt wird.
Betreiber- und Geschäftsmodelle
Je nach Eigentumsstruktur und Nutzerzahl bieten sich verschiedene Umsetzungsmodelle an:
| Modell | Betreiber | Vorteile | Geeignet für |
| Eigentümermodell | WEG oder Vermieter | volle Kontrolle, einfache Struktur | kleine Anlagen |
| Dienstleistermodell | Externer Betreiber | kein Verwaltungsaufwand, professionelle Abrechnung | mittlere & große Anlagen |
| Contractingmodell | Dienstleister übernimmt Investition & Betrieb | kein Kapitalaufwand, planbare Kosten | größere Objekte, Quartiere |
| Mieterstrommodell mit Ladeinfrastruktur | Mieterstrom-Anbieter | Nutzung von PV-Strom zum Laden, CO₂-freie Energie | Gebäude mit PV-Anlage |
Elektromobilität braucht Systemdenken
Elektromobilität im Mehrparteienhaus ist machbar – aber sie erfordert ein durchdachtes Gesamtkonzept.
Technische Lösungen wie Lastmanagement und smarte Abrechnungssysteme sind vorhanden, die rechtlichen Rahmenbedingungen klar geregelt. Entscheidend ist eine frühzeitige Planung und Abstimmung zwischen Eigentümern, Mietern und Fachleuten.
Mit einer intelligenten Kombination aus Photovoltaik, Ladeinfrastruktur und Energiemanagement kann das Mehrparteienhaus zu einem echten Baustein der Energiewende werden – effizient, nachhaltig und zukunftssicher.
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